@Amanita bietet uns "klassischen Europäern" (.. wobei schon
die Idee, Süd- und Nord- und Ost- und Westeuropäer in eine
homogene Gruppe "klassischer Europäer" zu zwingen, mich
milde lächeln lässt ...) eine kluge Antwort an. Nur warum die
Lösungsmöglichkeit "klassisch asiatisch" sein soll und da ich europäisch bin, ich dafür erst einmal mein "klassisch euro-
päisches" Denken aufgeben müsste/sollte, das erschließt sich
mir nicht ganz.
Es gibt eine ganze Reihe großer europäischer Philosophen,
die solches Denken entwickelt haben .... einige sogar schon
in der Antike. Das Lösen von absoluten Vorgaben, das es er-
laubt die verschiedensten Blickwinkel einer Sache zu sehen,
ohne dabei ständig quälend ambivalent zu sein, wird auch
in weiten Teilen Europas als Teil eines Reifeprozesses
gesehen und ist also keine "klassische asiatische"
alleinige Errungenschaft.
Und, mit Verlaub, das Europäer so ganz allgemein extrem in Kategorien denken würden und immer eins als gut und eins als schlecht und beides als unvereinbar ansehen, das ist bei
aller Wertschätzung für eine offene Antwort doch so ver-
allgemeinernd zíemlich weit daneben. Da stellt sich mir die
Frage, ob und inwiefern z.B. die chines. Staatsführung
und/oder chines. Wirtschaftsführer nun als klassisch
asiatisch oder "klassisch europäisch" anzusehen wären ??
Und die chines. Staatsführung hat sich in der Tibet-Frage
zwar konsequent von jeglicher Ambivalenz befreit, dabei
aber die Sache der Tibeter als eine Seite massiv ver-
nachlässigt. Obwohl doch die Chinesen wohl als "klassisch
asiatisch" angesehen werden müssen, oder ??
In sehr weiten Teilen der asiatischen Welt .... davon bei
sehr vielen fundamentalistischen Muslimen wird sehr
extrem in absolut starren Kategorien gedacht. Und
selbst für weniger fundamentalistische Asiaten
mit islamischer Religionszugehörigkeit gibt es nur die
"wahren Gläubigen" (und das sind selbstverständlich nur
sie selbst) und alle anderen sind die lebensunwerten
Ungläubigen.
Im übrigen ist der in der psychoanalytischen Literatur unter-
schiedlich beschriebenen und oft einseitig verwendeten Begriff
der Ambivalenz zu analysieren und zu erweitern.
Konflikte sind ein Element des realen wie des seelischen
Lebens. Jede Entwicklung findet grundsätzlich innerhalb eines Spannungsfeldes entgegengesetzter Pole statt. Doch können Entwicklungsprozesse auch fehlgeleitet; problematische und unerwünschte Einflüsse können verdrängt werden. Derartige Verdrängungsprozesse führen sowohl im gesellschaftlichen
als auch im individuellen Bereich nicht selten zu pathologischen Verhaltensmustern und zu spezifischen Krankheitsbildern, wie beispielsweise dem Machtmißbrauch.
Da die Dialogik der Vielgestaltigkeit des menschlichen Lebens
und dem unaufhebbaren Nebeneinander von Widersprüchen
einen hohen Stellenwert beimisst, scheint mir diese philo-
sophische Richtung als Basis meiner Ausführungen die
am besten geeigneste zu sein und als solche habe ich
sie gewählt.
Gegen teils unklare und voneinander abweichende Aussagen
zum Ambivalenzbegriff in den verschiedenen psycholog.
Theorien setze ich das dialogische Prinzip Martin Bubers.
Buber beschreibt eine existenzphilosophische Seinsweise,
die sich im Gegenüber, d.h. in der Beziehung zwischen
dem Ich und dem Du, manifestiert. Für Herman Lewin
Goldschmidt ist das dialogische Prinzip darüber hinaus
eine geistige Grundhaltung, die große Bedeutung für unser Ambivalenzverständnis hat. Ausgehend von dieser Betrach-
tung der Dialogik als geistiges und seelisches Prinzip ist
es m.E. möglich, einen falschen oder zu eng gefassten Ambivalenzbegriff zu korrigieren und zu erweitern und sich
damit aus einem zu engen Ambivalenzbegriff zu befreien..
Ergo ist m.E. das dialogische Prinzip eine geeignete
Möglichkeit sich aus Ambivalenz zu befreien, ohne
"eine Seite" zu vernachlässigen.
Martin Buber und Hermann L. Goldschmidt sind genau
wie ich Europäer und nur wenig von "klassisch
asiatischem" Denken beeinflusst.